Nach längerer, vornehmlich krankheitsbedingter Schaffenspause (ist das wirklich schon ein halbes Jahr her?) geht’s hier wieder weiter – in gewohnt unregelmäßiger Reihenfolge.
Konkreter Anlaß ist ein Artikel des Regensburger Strafrechtlers Michael Pawlik in der FAZ, der mit oben erwähntem Zitat überschrieben ist. Um es gleich zu sagen: der Beitrag enthält die bestbegründete Forderung nach einem neuen Präventionsstrafrecht, die ich bislang gelesen habe (und ich empfehle die vollständige Lektüre). Gerade deshalb fordert er jedoch zu einer Erwiderung heraus.
Pawliks Kernargumente, warum der Rechtsstaat Terroristen anders als „herkömmlichen“ Straftätern begegnen sollte, sind folgende:
„Der Befund, dass der moderne Terrorismus ein funktionales Äquivalent zum Staatenkrieg darstellt, lässt sich von Seiten des Rechts nicht einfach ignorieren. Er legt vielmehr die Schlussfolgerung nahe, dass es den Angegriffenen nicht grundsätzlich verwehrt sein kann, sich bei der Bekämpfung des Terrorismus an Wertungen kriegsrechtlicher oder zumindest kriegsrechtsähnlicher Provenienz zu orientieren.“
„Die strikte Unterscheidung zwischen einer normativ asymmetrischen Friedensordnung in Gestalt des Polizei- beziehungsweise Strafrechts mit relativ eng umgrenzten Eingriffsbefugnissen auf der einen Seite und eines weitaus robusteren, auf der Prämisse grundsätzlicher normativer Symmetrie zwischen den Konfliktparteien beruhenden Kriegsrechts auf der anderen Seite ist durch die Realität überholt.“
„Aber wird damit nicht der menschenrechtliche Status terroristischer Gefährder puren Effizienzüberlegungen aufgeopfert? Keineswegs. Es geht lediglich darum, ob jemandem ein Rechtsvorteil daraus erwachsen darf, dass er sich nicht der Formen des herkömmlichen Krieges, sondern eines Äquivalents zu diesem bedient. Dafür gibt es keine überzeugenden Gründe.“
Nun ja.
Der „Rechtsvorteil“, auf den Pawlik hier anspielt, ist natürlich das mit rechtsstaatlichen Sicherungen versehene Strafverfahrensrecht, das rechtswidrige Maßnahmen wie etwa die Folterung eines Beschuldigten ausschließt. Zwar sollen nach Pawlik die Vernehmungsmethoden, wie sie vom amerikanischen CIA bekannt geworden sind („darunter finden sich Schläge, Schlafentzug, simuliertes Ertränken oder stundenlanges Frierenlassen in eiskalten Temperaturen“), auch künftig verboten bleiben, aber: „zwischen Paragraph 136a StPO und derartigen Vorgehensweisen liegt ein beträchtlicher Abstand, und dass jeder Schritt in diesen Zwischenbereich hinein a priori unzulässig sein sollte, dürfte sich schwerlich begründen lassen.“
Was ist dieser Zwischenbereich? Zum Beispiel „Täuschungen des Vernehmenden, etwa über das Aussageverhalten von Mitinhaftierten oder den Sinn der Befragung, oder das Versprechen gesetzlich nicht vorgesehener Gegenleistungen für Aussagen.“
Diese Methoden sind nach geltendem Recht von besagtem § 136a StPO nicht gedeckt, infolgedessen unzulässig. Hier von einem „Zwischenbereich“ zu reden, ist m.E. schon recht frivol. Aber da diese Zwischenbereichsmaßnahmen „lediglich präventiven Zwecken dienen und keine Verschlechterung der strafprozessualen Stellung des Gefangenen nach sich ziehen dürfen“ (wie das in der Praxis aussehen soll, bleibt Pawliks Geheimnis; seine Forderung jedenfalls, hier ein Verwertungsverbot für selbstbelastende Aussagen einzuführen, dürfte bei der richterlichen Strafzumessung allenfalls formale Bedeutung erlangen) – da diese Maßnahmen also der Gefahrenabwehr geschuldet seien, sollen sie künftig auch erlaubt werden.
Pawlik geht aber noch weiter: im Rahmen dieses neuartigen „Präventionsrechts mit kriegsrechtlichen Elementen“ (Pawlik) gehe es primär um die „Unschädlichmachung“ des Gegners, und zwar mithilfe von „Inhaftierung […] und Tötung[!], und zwar grundsätzlich auch außerhalb konkreter Kampfhandlungen[!].“ Dabei macht sich Pawlik auch ausdrücklich den Begriff der „Schädlingsbekämpfung“ zu eigen, der in diesem Zusammenhang von H. Münkler ins Feld geführt wird.
Das ist freilich harter Stoff für die gesetzte Leserschaft der FAZ! Die hatte der Autor vermutlich auch vor Augen, wenn er von der „psychischen Struktur“ der westlich verfassten Gesellschaften spricht (er nennt sie, durchaus pejorativ, die „postheroischen Gesellschaften“), die durch ein „hoch entwickeltes Bedürfnis nach Daseinssicherheit bei geringer eigener Opferbereitschaft“ gekennzeichnet seien. Woher er der geringen Opferbereitschaft so sicher ist, bleibt unklar. Vielleicht rührt sie, sollte sie denn existieren, auch daher, dass der Einzelne sich immer weniger als Bürger, sondern zunehmend als zu verwaltendes Objekt eines hypertrophen Staates fühlt.
Etwas mehr Vertrauen in die Bürger und in ihre Fähigkeiten, etwas mehr liberales Staatsverständnis anstatt immer neue Regelungen zu erfinden könnten da hilfreich sein. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die präventive, anlaßunabhängige Rasterfahndung Unbeteiligter unverhältnismäßig ist, dekadent zu nennen, führt jedenfalls in demagogische Gefilde. Es fehlt nur noch das Wort vom „Verfassungsautismus“, mit dem der Staatsrechtler O. Depenheuer seinerzeit den Ersten Senat des BVerfG diffamierte, weil dieser es gewagt hatte, den Abschuss entführter Passagierflugzeuge als „mit der Geltung der Menschenwürde schlechterdings nicht zu vereinbaren“ zu bezeichnen und das entsprechende Gesetz für nichtig erklärte.
Es versteht sich von selbst, dass Pawlik, nachdem er schon die Tötung von Terrorverdächtigen außerhalb der geltenden Erlaubnistatbestände (Notwehr, Nothilfe, sog. finaler Rettungsschuss) für zulässig erachtet, der Einführung einer präventiven „Sicherungshaft“ das Wort redet, die grundsätzlich „bis zur Beendigung der Feindseligkeiten andauern“ können soll.
Angesichts solcher Aussichten fällt denn auch seine Suggestion, wie sie in der Überschrift zum Ausdruck kommt, der Zweck der Strafe diene ausschließlich oder hauptsächlich der Resozialisierung, nicht weiter ins Gewicht. Abgesehen davon, dass selbst seine Sicherungshaft keine Strafhaft wäre, die Frage einer Resozialisierung sich also gar nicht stellt, sei hier nur kurz zur klargestellt, dass es bei der Strafe (jedenfalls auch) um Sühne, höflicher formuliert um vergeltenden Schuldausgleich geht, vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB.
Wohl nicht von ungefähr beruft Pawlik sich am Ende seines Beitrags mit der Attitüde eines „Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders“ ausgerechnet auf Carl Schmitt, den „Kronjuristen des Dritten Reichs“, demzufolge es die Aufgabe des Theoretikers ist, „die Begriffe zu wahren und die Dinge beim Namen zu nennen.“
Immerhin: der Verunklarung der Begriffe hat sich Pawlik gewiß nicht schuldig gemacht. Klarer als „Inhaftierung“ und „Tötung“ geht es wohl selbst bei Carl Schmitt nicht.
Die „Flucht ins Kriegsrecht“ (so würde ich Pawliks Intention mal beschreiben) bietet indes auch keine Lösung für die durch den internationalen Suizidterrorismus entstandene neue Gefahrenlage. Sie ist vielmehr nur eine Scheinlösung. Denn, und das kommt nun von höchster Stelle, „das Grundgesetz regelt den Verteidigungsfall ausdrücklich, ohne eine Einschränkung der Menschenwürdegarantie vorzusehen.“ Die kriegsrechtlichen Regelungen, auf die Pawlik meint rekurrieren zu müssen, erlauben es also gar nicht, mit Terrorverdächtigen in seinem Sinne zu verfahren. Und weiter: „Selbst im Kriegsfall kann man niemanden rechtlos stellen. Auch die Menschenrechtskonvention hebt zwar klar hervor, dass Menschenrechte, wie zum Beispiel sogar das Recht auf Leben, im Falle der Bedrohung des Lebens der Nation einschränkbar sind. Dies könne aber nur durch rechtmäßige Kriegshandlungen geschehen.“ – dass etwa der Abschuss entführter Verkehrsflugzeuge keine solche ist, davon war bereits die Rede.
Daraus ergibt sich m.E. im Umkehrschluß, dass das „Vorfeldkriegsrecht“, das Pawlik etablieren möchte, nicht hinter jenen Rechtsstandards zurückbleiben darf, die für den Ernstfall, den Krieg, gelten. Deshalb ist es auch „völlig ausgeschlossen, Täter oder Tatverdächtige, Störer oder Störerverdächtige gewissermaßen außerhalb der Rechtsordnung anzusiedeln, sie als Feinde der Rechtsordnung rechtlos zu stellen.“ Und demnach ist es auch nicht einem „wirklichkeitsenthobenen Rechtsstaatsideal“ (Pawlik) geschuldet, wenn man auf die Einhaltung verbindlicher rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien insistiert, sondern zeugt schlicht davon, die grundlegenden Wertentscheidungen der Verfassung beim Wort zu nehmen.
Und wer hat diese klaren Sätze gesagt? Kein Geringerer als Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und zwar hier. Er ist dafür zwischenzeitlich schon reichlich gescholten worden (von Schäuble und anderen), ich aber meine: ein Glück, dass wir noch dieses Gericht und solche Richter haben! Nicht auszudenken, wie die Verfassungswirklichkeit inzwischen aussähe, hätte man den Pawliks und Depenheuers freien Lauf gelassen.
Edit (22:07 Uhr): Der fragliche FAZ-Artikel ist mittlerweile weder aufsuch- noch abrufbar. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt. Sollte er wieder online gehen, werde ich den entsprechenden Link aktualisieren.
Schön, daß Du wieder da bist…:-)
Auch wenn der Terrorist nicht resozialisiert werden möchte, so wird der sittliche Staat des Grundgesetzes ihm gerade diese Möglichkeit auch weiterhin an(zu)bieten (haben), um sich nämlich nicht selbst preiszugeben.